Das Team vom Finanzmuseum tauscht sich mit Pascal Pfister an einem Donnerstagnachmittag im Juli online aus. Es ist nicht irgendein Donnerstag, sondern der Tag, an dem die neuste Statistik vom Dachverband veröffentlicht wird. Über 5000 neue Haushalte, also ratsuchende Personen, sind 2022 an eine Institution gelangt, die dem Dachverband Schuldenberatung Schweiz angeschlossen ist.
Kennengelernt haben wir uns im Rahmen der Swiss Money Week 2023. Beide sind wir Mitglieder des Netzwerk Finanzkompetenz. Die Schuldenberatung hat auch Prävention zum Anliegen: Damit soll der Tabuisierung des Themas Geld und somit der Verschuldung entgegengewirkt werden.
Glossar
Pascal Pfister, wie sieht die Schuldensituation in der Schweiz generell aus?
Schaut man sich unsere Statistik an, kommen jährlich über 5000 Haushalte neu in eine Beratung. Das Bundesamt von Statistik spricht im Jahr 2021 von elf Prozent der Bevölkerung mit mindestens einer Form von Zahlungsausständen. Eine private Wirtschaftsauskunftei berechnet eine Schuldenquote von sechs bis sieben Prozent (Personen mit Betreibungen ab Fortsetzungsbegehren). Diese Zahlen sind in den letzten Jahren relativ stabil geblieben.
Die momentane tiefe Arbeitslosigkeit wirkt der Verschuldung eher entgegen, die Inflation hingegen erhöht für Haushalte mit tiefem Budget das Schuldenrisiko deutlich. Jedoch ist die Schuldenberatung nicht die ideale Vorhersagerin für die aktuelle Situation. Bei uns melden sich die Menschen meistens erst ein paar Jahre nach der Verschuldung.
Interessanterweise kann wider Erwarten kein «Corona-Effekt» festgestellt werden. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt aber, dass neu auch viele Selbstständige von Schulden betroffen sind, trotz Bundeshilfe. Deren Beratung wird jedoch selten von den Leistungsverträgen der Schuldenberatungsstellen mit den Kantonen und Gemeinden abgedeckt. Einige Fachstellen haben erste Schritte in der Beratung dieser Zielgruppe unternommen.
Das Inkassowesen (siehe Glossar) und seine Professionalisierung ist erst in den letzten Jahrzehnten aufgekommen. Früher haben Firmen Zahlungsrückstände selbst eingefordert, heute sind diese Abläufe oft an Inkassounternehmen ausgelagert.
Konsumkredite sind nach wie vor ein wichtiges Thema in der Schuldenberatung: In Zeiten, wo Liquidität fehlt, kann die Wirtschaft durch die Konsumkreditvergabe «am Laufen» gehalten werden. Wenn aber ein Konsumkredit scheitert, dann ist es in der Schweiz so, dass die Schuldnerin haftet. Aus diesem Grund werden Konsumkredite von Seiten Politik gutgeheissen und die Hürden sind relativ tief einen zu kriegen.
Sollte der Zugang dazu restriktiver sein?
Der Ansatz der Schuldenberatung ist es, dass gleichzeitig Zahlungsausfälle gesellschaftlich akzeptiert werden müssten. Damit einhergehend muss ein Schuldenschnitt (siehe Glossar) ermöglicht werden.
Heutzutage sind Abo-Modelle allgegenwärtig und deren Gebühren summieren sich monatlich. Was hat das für Auswirkungen?
Die einfachere Zugänglichkeit solcher Abo-Modelle kann überfordern. Es gibt Vorteile: Die jährlichen Ausgaben auf den Monat zu verteilen, kann schwieriger sein, als stetig bleibende monatliche Gebühren zu bezahlen. Kreditkartenzahlungen, neuere Zahlungsmethoden - wie beispielsweise Buy Now Pay Later - sind weitere, zusätzliche Kanäle des Konsumkredits, die natürlich Schulden generieren können.
Wer verschuldet sich in der Schweiz?
Personen melden sich am Ende einer Verschuldung bei unseren Fachstellen. Meist sind sie dann schon über längere Zeit von Schulden betroffen. Tendenziell handelt es sich um Haushalte mit tieferem, unsicherem Einkommen. Unvorhergesehene Ereignisse wie eine Zahnarztrechnung können diese in Schwierigkeiten bringen. Generell kann gesagt werden, dass Schulden alle treffen können. Scheidungen, Krankheiten, Arbeitslosigkeit, nichtzahlende Kundschaft etc. sind sogenannte «kritische Lebensereignisse», die Schulden auslösen können.
Spannend ist, dass gerade Personen, die im «besten Erwerbs- und Familienalter» sind, am meisten betroffen sind. In diesen Lebenssituationen kommen gleichzeitig die meisten Kosten auf – Kinder, Eigenheim etc.
Es gibt zudem die administrative oder sprachliche Überforderung, die zur Verschuldung führen können. Auch strukturelle Ursachen sind ausschlaggebend. Selbstverständlich würde hier Finanzkompetenz helfen. Oft hilft einfach ein Budget zu erstellen: ein kleiner, aber der entscheidende Schritt. Zu wissen, wo man sich Hilfe holen kann, ist ebenso Finanzkompetenz; bei der Prämienverbilligung muss man beispielsweise wissen, wo und wer einem helfen kann. Es wäre wünschenswert, wenn solche Grundkompetenzen in der Schule bereits vermittelt werden.
Schulden zu haben ist oft der Anfang einer Abwärtsspirale. Verschuldete arbeiten, um ihre Schulden zu bedienen. Denn auf Schulden werden Zinsen, Zinseszinsen erhoben. Auch beim Privatkonkurs (siehe Glossar) sind die Schulden nicht einfach weg. Deshalb wäre es wünschenswert, wenn es ein Schuldenschnitt (siehe Glossar), also eine Restschuldbefreiung, gibt, wie dies der Bundesrat dem Parlament vorschlagen will. Zugangsbedingung des vorgeschlagenen Verfahrens ist, dass keine neuen Schulden gemacht werden dürfen während des Verfahrens von vier Jahren. Die Chance zum Schuldenschnitt soll zudem nur ‘einmal im Leben’ wahrgenommen werden dürfen.
21% der Ratsuchenden sind unter 30 Jahre, viele suchen sich unabhängig von Beratungsstellen Hilfe wie Sie in ihrem Bericht schreiben. Was können Sie uns über die Schuldensituation der Jugendlichen sagen?
Es gibt grob gesagt zwei Varianten von Gründen, die Jugendliche und junge Erwachsene in die Verschuldung bringen: Diejenigen, die mit einem verschuldeten Elternhaus aufwachsen, haben schwierige Voraussetzungen. Es ist mit dem Armutsphänomen zu vergleichen, die auch vererbbar ist. Konkret sind bisher die Krankenkassenschulden der Eltern vererbt worden. Diese wurden zum ungewollten 18. Geburtstagsgeschenk. Ein Start in die Volljährigkeit mit einem Schuldenberg. Ab 1. Januar 2024 soll das Krankenversicherungsgesetz revidiert werden und somit diese Vererbung abgeschafft.
Darüber hinaus gibt es Jugendlichen oder junge Erwachsene mit eigenen Schulden, was verschiedene Gründe haben kann (siehe Abb. 27 im Statistikbericht). Trennung/Scheidung ist in dieser Altersspanne noch untervertreten. Vielmehr ist der Auszug aus dem Elternhaus und die Gründung von Haushalten ein Grund. Es gibt unterschiedliche familiäre Voraussetzungen, manche können vom Elternhaus unterstützt werden, andere nicht. Hier wäre eben Finanzkompetenz ein wichtiges Anliegen, bevor man für alles selbst verantwortlich wird.
Kaufsucht wird ebenso mehr genannt bei Personen unter 30. Ob dies den Jugendlichen eher zugeschrieben wird aufgrund des Alters müsste noch genauer untersucht werden. Statussymbole haben aber in diesem Alter noch einen grösseren Stellenwert.
Gründe für Verschuldung nach Altersgruppen
Werden Jugendliche anders beraten?
Grundsätzlich nicht, nein. Was die Fälle von Jugendliche und jungen Erwachsenen von anderen unterscheidet ist das Schuldensanierungsthema (siehe Glossar). Es gibt hier die Möglichkeit auf den «Goodwill» der eigenen Familie zu zählen, die gewisse Beträge zu übernehmen. Dies ist jedoch nicht für alle eine realistische Möglichkeit. Von Seiten der Gläubiger hingegen ist die Bereitschaft auf Beträge zu verzichten oder diese zurückzuziehen kleiner. Diese sagen sich, dass Junge noch die Möglichkeit haben die Schulden zurückzuzahlen.
Bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen müssen die Weichen gestellt werden, um mögliche Verschuldung zu verhindern. Finanzbildung kann dabei helfen. Denn wie man heute weiss, sind es langjährige Prozesse der Verschuldung, ganze Rucksäcke, die Personen schlussendlich zur letzten Station, der Schuldenberatung, führen.
Zur Person
Pascal Pfister ist seit Anfang 2021 Geschäftsleiter des Dachverbandes Schuldenberatung Schweiz. In dieser Rolle ist er auch Teil der Koordinationsgruppe für die nationale Aktionswoche Swiss Money Week. Zuvor arbeitete der studierte Ethnologe bei Selbsthilfe Schweiz und als Gewerkschafter.
Weiterführende Links zum Thema
- Schuldenberatung Schweiz
- Schuldenstatistik
- Netzwerk Finanzkompetenz
- So stark sind die Menschen in der Schweiz verschuldet - 20 Minuten
- Schuldenberatung Schweiz fordert Schuldenschnitt - Blick
- Armut in der Schweiz: «Ich werde im Stich gelassen», sagt eine Betroffene | Tages-Anzeiger (tagesanzeiger.ch)