Für die Aktienhändler der Zürcher Börse markierte der 1. Juli 1988 den Beginn einer neuen Ära: Ab sofort handelten sie Wertpapiere ohne Mittagspause und schrien sich den ganzen Tag Angebote und Preise zu. Grund für die einschneidende Veränderung waren die Anforderungen des soeben von der Zürcher Börse lancierten Swiss Market Index, kurz: SMI. Der SMI ist ein Blue Chip-Index, er bildet die Kursentwicklungen der grössten und meistgehandelten Schweizer Unternehmen ab. «Blue Chip-Index» deshalb, weil die wertvollsten Pokerchips in den Spielcasinos von Monte Carlo blau gefärbt sind.
Die Schweizer Blue Chips, also die wertvollsten Schweizer Firmen, machen mehr als 80 Prozent des Gesamtkapitals des Schweizer Aktienmarktes aus. Kein Wunder ist es von Interesse, durch einen Index ihre Entwicklung zu verfolgen und davon zu profitieren. Für Unternehmen ist es attraktiv, in den SMI aufgenommen zu werden, denn dies generiert Investitionen durch – Achtung, Finanzjargon! - passiv gemanagte Fonds oder Derivate.
Verlust der Mittagspause
Derivate (Termingeschäfte, die unter anderem einen Index als Basis haben) waren denn auch ein wichtiger Grund dafür gewesen, den SMI überhaupt erst ins Leben zu rufen. Derivate waren in den späten 1980ern gerade erst auf den Schweizer Markt gekommen. Sie verlangten eine ununterbrochene Berechnung des ihnen zugrunde liegenden Index'; die Streichung der Mittagspause für die Zürcher Aktienhändler machte es möglich. Die Schweizer Banken, die diese neuartigen Finanzprodukte anboten, hatten zwar schon seit Jahren ihre eigenen Indizes berechnet. Jedoch bot der SMI auf dem rasch an Komplexität zunehmenden Finanzplatz einen entscheidenden Vorteil: Er war objektiver, weil er nicht nur einer einzelnen Bank gehörte, sondern von der unabhängigen Börse berechnet wurde.
Schon bald nach seiner Einführung im Juli 1988 begannen die Medien, den SMI zu zitieren, Anleger schauten auf ihn, um zu sehen, wie das Geschäft an der Börse gerade lief. Durch die wachsende Aufmerksamkeit und Anwendung stieg der SMI zum Aushängeschild des Zürcher Finanzplatzes auf. Er ist heute der bekannteste Leitindex des Schweizer Aktienmarkts. Die Kurve des SMI, immer wieder auch liebevoll «Smiley» genannt, spiegelt wirtschaftliche Trends, menschliche Hoffnungen und Ängste wieder. Er reagiert sowohl auf nationale wie auch globale Ereignisse, und dies zum Teil empfindlich.
30 Jahre SMI: Aktienindizes erklärt!
Das Schweizer Finanzmuseum widmete sich anlässlich des 30-Jahre-Jubiläums des Swiss Market Index 2018 ganz dem Thema Aktienindizes und erklärt Herkunft, Geschichte und Bedeutung der Schweizer Ikone wie auch Aktienindizes weltweit. Originalwertpapiere stellten acht ganz besonders geschichtsträchtige Schweizer Unternehmen vor: Swissair, Nestlé, die Schweizerische Kreditanstalt, Ciba-Geigy und viele mehr.
Ära der Fusionen
In den 1990er-Jahren waren Fusionen populär; gleich mehrere Grossunternehmen schlossen sich zusammen und bildeten heute allseits bekannte Riesen: Die Schweizerische Kreditanstalt übernimmt 1993 die finanziell angeschlagene Schweizerische Volksbank, 1997 schluckt sie die Winterthur Versicherungen und formt die heutige Credit Suisse. In der sogenannten «Basler Hochzeit» fusionieren 1996 die Chemiekonzerne Ciba-Geigy und Sandoz zum Pharmagiganten Novartis, im Jahr darauf tun sich die Schweizerische Bankgesellschaft und der Schweizerische Bankverein zur UBS zusammen, einem der heute weltweit grössten Vermögensverwalter. Der SMI steigt in diesen Jahren schnell auf immer neue Höchststände, sorgt für Vertrauen in die Schweizer Wirtschaft.
Anfang der 2000er-Jahre jedoch wendet sich das Blatt. Das Platzen der Dotcom-Blase und die Terroranschläge auf das World Trade Center verursachen dramatische Kursabstürze. Nicht zuletzt das Swissair-Grounding vom 2. Oktober 2001 gräbt sich tief in das Bewusstsein der Schweizer ein. Es ist der wohl spektakulärste Bankrott der jüngeren Schweizer Wirtschaftsgeschichte, Aktien der Swissair notieren gerade noch bei einem Wert von 1.25 Franken. Die Schweizer Börse kündigt am 4. Oktober 2001 an, die Swissair-Aktien in Übereinstimmung mit dem Indexreglement aus allen Indizes der SMI-Familie auszuschliessen. 2007 lässt das unschöne Ende des Immobilienbooms in den USA den SMI innert Wochen von sagenhaften 9546 auf 4235 Punkte zusammenstürzen; dies ist ein Minus von 55 Prozent. Es sollte Jahre dauern, bis sich die globale und nationale Wirtschaft wieder davon erholt.
Allen dramatischen Einbrüchen zum Trotz haben die Blue Chips der Schweizer Wirtschaft in den vergangenen 30 Jahren bis heute um mehr als das sechsfache an Wert zugelegt. Auf Dauer zeichnet die SMI-Kurve ein Bild stetig wachsender Prosperität, lässt hoffen.
Dieser Blogartikel erschien ursprünglich im Blog des Landesmuseums, geschrieben von Andrea Weidemann, Leiterin des Finanzmuseums.